Der Storch im Salat

Männer haben keine Problemzonen, außer ihr Bankkonto. Von Wegen! Wer denkt, dass die Herren der Schöpfung nur still in ihrer gottgegebenen Hülle vor sich hin vegetieren irrt. Männer zweifeln sehr wohl an sich, haben komplexe und schämen sich für Dinge, die ich persönlich nie für möglich gehalten hätte. Aber fangen wir von vorne an.

Neulich auf dem Raucherbalkon. Eventuell hatten wir auf dieser Abendveranstaltung ein, zwei Bier zu viel. Wie dem auch sei, meine Arbeitskolleginnen und ich sprachen angeregt über Beziehungen und ich lies den inzwischen leicht abgedroschenen Satz: „Du musst erst lernen dich selbst zu lieben, bevor du zulassen kannst, dass jemand anders dich liebt.“ fallen.

In dem Moment mischte sich ein Kollege ins Gespräch ein und pflichtete mir bei. Er hätte lange Probleme mit seinen dünnen Handgelenken gehabt und als jugendlicher stark darunter gelitten. Ständig versuchte er diese unter großen Lederarmbändern zu verstecken. „Mit deinen was?!“ stieß ich hervor, ohne weiter darüber nachzudenken, was das in ihm auslösen könnte. Leicht verlegen rieb mein Kollege sich seine Handgelenke und erklärte, dass er diese schon immer als zu schmal empfunden hätte. Als dann mit Anfang 40 der Haarausfall dazu kam, hatte sich das mit den Handgelenken für ihn erledigt. Denn jetzt hätte er, der dünne Storch im Salat, offensichtlich noch eine größere Baustelle.

Ich war völlig von den Socken. Ein in meinen Augen attraktiver und gestandener Mann Anfang 50 spricht mit mir über Problemzonen?! Noch nie habe ich jemanden über zu schmale Handgelenke klagen hören, geschweige denn auch nur ansatzweise darauf geachtet, wie diese bei anderen Menschen aussehen. Ja klar, das mit dem Haarausfall kann ich verstehen. Würde auch nicht spurlos an mir vorbeigehen. Aber wenn du eine schöne Kopfform hast, dann weg mit der Matte! Das gilt übrigens für Männer und Frauen. Ich persönlich finde nämlich, dass auch Frauen mit einem Buzzcut oder einer Glatze wahnsinnig attraktiv sein können.

Naja, der Abend nahm seinen Lauf und das Gespräch mit meinem Kollegen beschäftigte mich auch noch einige Tage danach. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen: So einige Männer aus meinem Umfeld haben Komplexe. Ich weiß das, weil sie es mir anvertraut haben. Mir ist jedoch aufgefallen (und das ist mir sehr unangenehm), dass ich diese bislang einfach nicht ernst genommen habe. Warum eigentlich nicht? Ich weiß es nicht. Aber es macht mich nachdenklich.

Männer und Frauen leben in ihren Körpern, den wunderbarsten Maschinen dieser Welt. Sie finden sich manchmal schön und manchmal nicht. Und sind wir mal ehrlich, beinahe jeder Mensch auf dieser Welt hat etwas an sich, was er nicht leiden kann. Ich persönlich mag Männer mit Glatze und schönen Schlüsselbeinen. Haare auf dem Rücken sind mir relativ egal und ob die Handgelenke nun besonders schlank oder kräftig sind, interessiert mich nicht.

Generell gilt: Was du an dir nicht leiden kannst, mag vielleicht ein anderer.

Also bitte glaubt daran, wenn jemand euch sagt, dass er euch liebt. Hört ihm genau zu und nehmt ihn ernst, wenn er euch sagt, was an euch in seinen Augen besonders schön ist. Eure Ecken, Kanten und Kurven machen euch besonders. Keiner von uns ist perfekt – Und irgendwie ist das ja auch gut so.

XOXO Johanna